Allokation in der Elektronikbranche

Veröffentlichung - 2022 / 01

Was ist der wahre Grund und wer profitiert jetzt am meisten?

Akuter Rohstoffmangel, explodierende Bezugskosten und schier endlos lange Lieferzeiten erschüttern den Markt für elektronische Bauteile. Die Beteiligten stehen entweder auf der Gewinner- oder auf der Verliererseite. Als Grund wird die Rohstoffknappheit angeführt. Aber ist das wirklich so? Oder gibt es Akteure, die sich unter diesem Vorwand gezielt Vorteile verschaffen?

Wer die Spur zurückverfolgt an den Ort, an dem allem Anschein nach alles begann, landet in Wuhan, Volksrepublik China. In der Elf-Millionen-Metropole der zentralchinesischen Provinz Hubei werden bereits Anfang Dezember 2019 die ersten offiziell bestätigten Infektionen mit einem neuartigen Erreger bekannt. Ohne Zeit zu verlieren, verbreitet sich Sars-CoV-2, besser bekannt als Corona-Virus, unaufhaltsam und löst rasend schnell eine weltweite Epidemie aus.

Im Vorfeld sorgt ein Engpass an Rohstoffen und Vorprodukten schon seit Langem für eine angespannte Situation auf den internationalen Märkten. Vor allem der Chipmangel – es fehlen Silizium-Wafer – macht der Industrie seit knapp vier Jahren zu schaffen. Während die Bänder der Automobilhersteller stillstehen, quälen die IT-Branche massive Nachschubprobleme. Die Pandemie beschleunigt die negativen Effekte der Rohstoffkrise und befeuert sie durch düstere Prognosen und Panik. Lieferketten-Probleme, gestiegene Transportkosten und Produktionsausfälle durch Kontaktbeschränkungen tun ein Übriges.

Reaktionen von Kunden und ihre Folgen

Die Nachfrage steigt auch durch die Haltung vieler Konsumenten, die lieber ihr Zuhause bzw. Homeoffice mit elektronischen Geräten aufrüsten als Negativzinsen auf der Bank zu zahlen.

Erschwerend hinzu kommt, dass weitere riesige Bedarfsträger, die das öffentliche Leben bedienen, noch zusätzlich kaufen werden. Vor dieser Kulisse ordern einige Kunden zur vermeintlichen Sicherheit und in der Hoffnung, zumindest einen Teil ihrer Ware zu bekommen, große Stückzahlen gleich für Jahre im Voraus. Eine Reaktion, die nach Ansicht vieler Experten hohe Risiken birgt. Sie prognostizieren massive Überkapazitäten, die zu einem ähnlichen Szenario wie 2008 führen könnten.

Die Profiteure

Gerätehersteller und Endverbraucher, allen voran die kleineren und mittleren, leiden besonders hart unter der Rohstoffknappheit. Doch es gibt es auch Profiteure. Das sind Distributoren und Lieferanten von Primärrohstoffen, denen die stark gestiegenen Verkaufspreise satte Gewinne einbringen. Erstere gelten insofern als die „großen Nutznießer der Krise“, als ihnen die Notlage ihrer Abnehmer plötzlich eine deutlich größere Marktmacht beschert hat. Sie haben in der Lieferkette eine Art Monopolstellung eingenommen und können diese nun in Preisverhandlungen zu ihrem Vorteil nutzen.

Zwar erhöhen sich ihre Kosten ebenfalls. Doch die aktuelle Teuerung steht in keinem Verhältnis zu der Entwicklung der Bezugskosten für ihre Kunden. Konservativeren Erhebungen zufolge zahlen diese derzeit bis zum Zehnfachen des üblichen Preises und darüber. Während die Wirtschaft sich langsam erholt und Nachfrage wieder steigt, arbeitet auch noch die Zeit gegen die Hersteller. Sie wollen die steigende Nachfrage bedienen, können jedoch wegen fehlender Rohstoffe nicht produzieren. Die kleineren, die nicht über die finanziellen Reserven verfügen, um längere Durststrecken zu überdauern, sind gezwungen, die immens hohen Preise zu zahlen und lange Lieferzeiten hinzunehmen. Momentan steht der Markt für elektronische Bauteile unter einer starken Allokation. Hier stellt sich die Frage, wer beliefert wird und wer nicht.

Schwarze Schafe

Nutznießer der Szene können sich aktuell eine goldene Nase verdienen. Um ihre Margen zu steigern, kaufen nicht wenige Vertragshändler im großen Stil ein, um Ware zu lagern und somit künstlich am Markt zu verknappen. So lassen sich Rekordmargen erzielen.

Franchise-Distributoren, die Waren auf dem grauen Markt verkaufen und die Preise für den Backlog pauschal und unverhältnismäßig hochziehen, verschärfen die Krise obendrein. Dabei trägt der Kunde die Preiserhöhung, erhält jedoch nicht die komplette bestellte Menge. Denn Teilmengen landen auf dem grauen Markt und werden für das Zehnfache und mehr verkauft. Hersteller und Endkunden haben dem derzeit nur wenig entgegenzusetzen.

Nach Schätzung einiger Lieferanten trifft das bei sechs von zehn Distributoren zu. Um ihre Möglichkeiten vollends auszuschöpfen und die Margen nochmals in die Höhe zu treiben, halten sie sich weder an Verträge noch an Vereinbarungen. Sie horten Ware und verkaufen zu Tagespreisen ausschließlich an jene Abnehmer, die bereit und in der Lage sind, die höchsten Preise zu zahlen.

Die Rede ist nicht etwa nur von Einzelpersonen. Vielmehr handelt es sich um ganze Gruppen anonym agierender Akteure größerer Vertriebspartner, die sich z. B. bei Warenpreisen absprechen und gemeinsam organisieren.

Rat der Experten

Teuer sind gegenwärtig nicht nur die Preise, sondern auch guter Rat. So empfehlen Branchenkenner Händlern, im Einkauf nie nur einen Kanal zu nutzen, sondern immer mehrere Anbieter zu prüfen. Auch sollten nach Möglichkeit andere Hersteller berücksichtigt werden, die funktions- bzw. baugleiche Produkte führen. Ferner ist es ratsam, den zentralen Ansprechpartner eines Vertragshändlers persönlich zu kontaktieren. Das erhöht die Verbindlichkeit eines Kontakts und die Chance auf faire Preise.

Dabei genießen „alte“ Lieferanten in aller Regel einen besseren Ruf als Branchenneulinge. Experten empfehlen etablierte unabhängige Distributoren, die bereits einen guten Namen in der Branche genießen. Flexible Händler, die über ihre bewährten Kanäle Teile von Originalherstellern beziehen und als verlässliche Schnittstelle zwischen Hersteller und Endverbrauer daran arbeiten, die Kosten der gesamten Kette niedrig zu halten.

Unterm Strich gilt: Erscheint ein Preis extrem hoch, sollte man wenn möglich warten, denn aktuell sind die Preisschwankungen sehr sprunghaft. Sind die Kosten annehmbar, sollte man sofort kaufen. Mittelfristig werden die Preise weiterhin steigen – angetrieben durch die hohe Nachfrage. Ein altbekanntes Spiel.

(Inhouse-Text)

PDF öffnen
×