Krieg in der Ukraine
Welchen Einfluss hat er auf die Elektronikbranche?
Der Ukraine-Krieg trifft vor allem die Elektronikbranche, die für das Militär und die Innovationsfähigkeit von Staaten besonders relevant ist. Womit hängt das zusammen? Und was bedeuten diese Zeiten maximaler Konfusion und Unsicherheit für die internationalen Märkte und den Handel weltweit?
Nach 77 Jahren Frieden herrscht nun wieder Krieg in Europa. Während sich die Menschen in der Ukraine dem russischen Aggressor Wladimir Putin widersetzen und ihre unabhängige Nation verteidigen, versucht der Westen den Defacto-Autokraten mittels Sanktionen zu schwächen. Ziel der EU und der USA ist es, Russland zunächst von der Weltwirtschaft abzuschneiden. Dazu wird zentralen russischen Banken der Zugang zu Finanzierungsquellen im Ausland gekappt. Darüber hinaus werden Zulieferungen vor allem an Putins Energie- sowie Rüstungs- und Luftfahrtindustrie gestoppt. Schon jetzt halten Experten einen Wirtschaftseinbruch von bis zu 20 % in Russland für möglich. Doch auch Russlands Handelspartner, die sich bemerkenswert geschlossen auf harte Sanktionen verständigt haben, müssen einen hohen Preis bezahlen.
Gerade wächst ein globaler wirtschaftlicher Schaden, der den bereits durch die Pandemie verursachten in den Schatten stellen dürfte. So treibt der deutliche Energiepreissprung infolge des Ukraine-Krieges in Deutschland beispielsweise die Inflation auf den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Mit all ihren negativen Konsequenzen. Ähnlich hoch wie in diesem März war die Inflationsrate in den alten Bundesländern zuletzt im Herbst 1981, als infolge der Auswirkungen des ersten Golfkrieges die Mineralölpreise ebenfalls deutlich geklettert waren. Hinzu kommen eine schwankende Nachfrage sowie bei der Ukraine eine Materialknappheit etwa von Kohlenwasserstoffen, kritischen Mineralien und Metallen.
Des Weiteren wirkt sich die teilweise Zerstörung vieler Transportwege und ihre Destabilisierung fatal auf die jeweilige Logistik aus. So müssen hier aufgrund der Schließung der Schwarzmeerhäfen von Odessa und Mariupol Schiffe mit ursprünglich diesem Ziel jetzt kurzfristig griechische Häfen anlaufen, wo sie für lang anhaltende Staus sorgen, weil diese Häfen parallel Endpunkte für Lieferungen aus China darstellen.
Angesichts der steigenden Nachfrage aus Europa und der genannten Engpässe auf dem Seeweg kam es bereits früh zu einer großen Verlagerung von Warentransporten auf die Schiene. Das führte teilweise zu einer Verfünffachung der Lufttransporte. Ein Großteil der Luftfracht jedoch wurde mit russischen Flugzeugen befördert, die aktuell nicht mehr in EU-Länder einfliegen oder dort landen dürfen. Der Luftraum über dem Konfliktgebiet ist komplett leer. Eine Umgehung des verbotenen Luftraums über die südliche Flugroute ist 2.000 km länger und erfordert mehr Treibstoff. In der Folge verteuerten sich die Kosten für einen Frachtflug um im Durchschnitt 35.000 US-Dollar, da wegen des zusätzlichen Treibstoffs weniger Frachtgewicht transportiert werden konnte und sich der Flug um circa zwei Stunden verlängerte. Mit allen negativen Konsequenzen für die Verfügbarkeit der Frachtmaschinen.
Auch die Preise explodieren
Wenn die Logistik nicht mehr reibungslos funktioniert, steigen Lieferzeiten und auch -kosten signifikant. Unterm Strich lässt der Krieg primär die Preise für Rohstoffe wie Aluminium, Zinn und Kupfer, Nickel, Silber und Gold sowie für Energie (Öl, Gas und Benzin) deutlich ansteigen. Zuschläge, z. B. für Treibstoff und das Kriegsrisiko sowie für Verzögerungen durch zusätzliche Grenz- und Sanktionskontrollen oder fehlende Arbeitskräfte und Transportmittel, verstärken diesen Effekt. Ebenso wie die negativen Auswirkungen des Euro-Wechselkurses, der erheblich gegenüber dem US-Dollar verloren hat. Preissteigerungen entstehen auch, wenn einzelne Marktteilnehmer den eigentlichen Konflikt als Rechtfertigung für höhere Marktpreise vorschieben.
Effekte auf die Elektronik-Industrie unter der Lupe
Russlands Krieg gegen die Ukraine könnte mittel- bis langfristig betrachtet zahlreiche Nebenwirkungen beispielsweise auf die Halbleiter-Industrie haben. Einen Zweig, deren Wert weltweit heute auf rund 500 Milliarden Euro geschätzt wird und im Mittelpunkt der Debatte um die digitale Souveränität der EU steht. Konkret geht es hier um die Produktion dreier für die Halbleiterproduktion unerlässliche und unersetzliche Komponenten: Neon, Palladium und C4F6. Neben der kriegsbedingten Materialknappheit durch Unterbrechung der Produktionslinien könnte Moskau als Reaktion auf die Sanktionen der EU und USA seinerseits die Versorgung mit kritischen Materialien unterbrechen. Neon beispielsweise ist ein wichtiger Rohstoff, der für die Laser-Gravur von Chips verwendet wird. Das Gas wird als Nebenprodukt bei der Stahlproduktion gewonnen. Russland gilt als einer der größten Neon-Produzenten. Bislang wurde es in der Ukraine extrahiert und für den Export gereinigt. Während zumindest noch die großen Halbleiterhersteller über Vorräte für mehrere Monate verfügen, könnte es hier schon bald zu Versorgungsengpässen kommen. Lieferunterbrechungen bei US-Chip-Herstellern sind insofern nicht abwegig, als diese hier nahezu ausschließlich auf die russisch-ukrainische Koproduktion angewiesen sind.
C4F6 (Hexafluor-1,3-butadien) ist ein ebenfalls betroffenes Ätzgas für die Herstellung von Halbleiter-Bauelementen und wird vor allem bei kritischen Ätzprozessen eingesetzt. Darüber hinaus kommt es in den Bereichen Verteidigung, Luft- und Raumfahrt, in Solarzellen sowie elektronischen Produkten zum Einsatz. Über diese wichtigen Nischenprodukte aus der Ukraine und/oder Russland hinaus sind ferner für die Elektronik-Industrie weitere zentrale Rohstoffe wie Nickel oder Palladium bedroht. Beide werden in Bauteilen wie MLCCs eingesetzt. Palladium wiederum ist ein seltenes Metall, das auch bei der Herstellung von Halbleitern verwendet wird. Mit geschätzten 37 Prozent des globalen Anteils ist Russland nach Südafrika (mit 40 %) der zweitgrößte Produzent von Palladium weltweit.
Russlands Ressourcen bestehen im Wesentlichen aus Öl und Gas. Aus den entsprechenden Exporteinnahmen wird der aktuelle Krieg finanziert. Die Ukraine ist neben gigantischen Mengen an Weizen und Speiseölen reich an Bodenschätzen. Sie verfügt über die weltweit größten Reserven an Eisenerz, während ihre größten Öl- und Gasvorkommen auf der Halbinsel Krim lagern, die bereits 2014 von Russland annektiert wurde. Viele ihrer Rohstoffe oder Halbfertigprodukte sind für die Elektronikindustrie von Bedeutung. Daher wird der Krieg die Elektronik-Branche schwerpunktmäßig belasten. Das Ausmaß der Mehrbelastung wird davon abhängen, inwieweit und wie gut einzelne Hersteller, z. B. Chip-Produzenten, in Bezug auf ihre Kaufkraft vorbereitet sind und ob sie alternative Bezugsquellen haben.
Diversifizierung
Wirtschaftsminister Robert Habeck unternimmt große Anstrengungen, um die Energieversorgung Deutschlands mittelfristig zu diversifizieren und wirtschaftliche Katastrophen abzuwenden. Dasselbe Prinzip gilt für den Handel, wo zu große Abhängigkeiten von einem Lieferanten schnell zu existenzbedrohenden Einbrüchen führen können. In Bezug auf China sind Politik und Öffentlichkeit daher gut beraten, wenn sie dessen Haltung zu Russland genau im Auge behalten.
(Inhouse-Text)
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